Anna Maria Bagger - Gedanken einer jungen Mandolinistin über Kunst und Leben

Anna Maria Bagger

Gedanken einer jungen Mandolinistin über Kunst und Leben Anna Maria Bagger

Wenn wir auf youtube schauen und Sie seriös den Monti Cardas spielen und andererseits auf Instagram wo Sie sich etwas modisch-schwungvoller darstellen – das sind zwei Welten. Sind Sie zwei verschiedene Personen?

Ich denke ich bin sogar noch viel mehr als zwei Welten, weil ich nicht nur in einer Disziplin zuhause bin, sondern in vielen: Mandoline, Klavier, Gesang, Kurzgeschichten und Sport.

Darum bekommen Menschen einen unterschiedlichen Eindruck von mir, je nachdem woher sie mich kennen. Von Youtube, Instagram, Facebook, Spotify oder aus dem richtigen Leben. Also ich verstelle mich nicht auf einem Kanal, sondern zeige meine unterschiedlichen Seiten.

Sie geben Menschen den Zugang zu Ihnen?

Ja das tue ich gerne, da ich damit auf Dinge hinweise, die gehört werden sollten. Ich mache zwar die Kunst für mich selbst, bin aber der Meinung, dass ich damit andere Menschen inspirieren kann, ihren eigenen Weg zu gehen. Zum Beispiel ist die Mandoline eher etwas Rares. Damit will ich andere ermutigen ihren eigenen Weg zu gehen, statt sich immer nur dem zu beugen, was man von einem erwartet, was der Mainstream ist.

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Sie haben also aufklärerische Intentionen – Freiheit schaffen…

Ich bin umgestiegen von der Geige zur Mandoline. Seit ich fünf war, habe ich Geige gespielt und irgendwann hat mein Papa gefragt [Professor Boris Björn Bagger: er leitet das Mandolinenorchester Ettlingen] ob ich mitspielen wolle – zunächst noch ohne Unterricht, da ja Mandoline und Geige gleich gestimmt sind. Dann habe ich ein dreiviertel Jahr Unterricht genommen, an Jugend musiziert teilgenommen und da es unglaublich Spaß macht, habe ich mich auf Mandoline konzentriert. Wenn ich Leute neu kennenlerne, dann kommt oft die Frage: „Was ist denn eine Mandoline?“ Oder: „Interessant!“

Die Mandoline hat also einen Neuigkeitswert!

Ja, wenn man mit 50 Leuten spricht, die alle Klavier spielen, kommen immer die gleichen Gespräche zustande. Aber ich kann mit meinem Instrument zeigen: Ich zieh mein Ding durch!

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Sie wollen also Ihre Unabhängigkeit entwickeln…

Die Unabhängigkeit – nicht von der Gesellschaft – sondern vom Mainstream. Gerade in meiner Generation sehe ich, wie Menschen versuchen, etwas Eigenes darzustellen.

Gehört da auch Estland hinein, wo Sie während der Schulzeit waren?

Beide Eltern kommen von dort. Dort war ich ein halbes Jahr in der Schule.

Die Sprache kannten sie schon?

Genau die Sprache sprechen wir auch zuhause, natürlich nicht so fließend wie man sie können wollen würde.

 

Was konnten Sie von dort mitnehmen?

Dort war ich ja auf mich alleine gestellt und das hat mir gezeigt, was für ein Mensch ich gerne sein möchte. Eine Phase der Selbstreflexion. Ich habe an mir selbst gearbeitet, indem ich Aspekte von mir aufgeschrieben habe, wer ich sein möchte. Diese Ziele habe ich erreicht.

Gab es auch eine Phase der Traurigkeit?

Definitiv. Aber ich muss sagen, das Weggehen war einfacher als das Zurückkommen. In meinem Umfeld hatte sich wenig verändert, ich selbst war „rausgewachsen“ und musste mir nun einen neuen Platz suchen.

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Gab es eine Person Anna, von der Sie sich im Ausland verabschiedet haben?

Ja von einer verantwortungslosen und negativen Anna. Ich hatte zischen Produktivität und Unproduktivität geschwankt: Für die Schule, das Instrument und für Freunde war ich nicht zuverlässig genug. Ich war nicht die Person, der ich selber gerne begegnet wäre. Dort konnte ich auf mich von außen schauen.

Und die neue Anna?

Selbstreflexion, Produktivität und Selbststeuerung sind deutlich gewachsen. Beim Instrument habe die Eigeninitiative ergriffen, und keiner hat mir gesagt, wann und was sich üben soll. Von Estland aus bin ich immer wieder nach Deutschland geflogen, um an „Jugend Musiziert“ teilzunehmen. Alles habe ich mir selber erarbeitet, was ja letzten Endes auch fruchtbar war…

… mit dem ersten Preis!

… und auch weitere kreative Felder, wie Kurzgeschichten schreiben. Mit dieser neuen Person wurde ich viel glücklicher.

Haben Sie auch ein Stückchen von der „alten“ Anna beibehalten?

Ja, ich bin schon immer eine impulsive und gefühlsgelenkte Person gewesen. Dies spiegelt sich in meinem Musikmachen wider. Ich stehe für mich selbst und für meine Meinung ein und beharre auch darauf. Emotionale Explosionen kann ich inzwischen in Gutes umwandeln. Ich interessiere mich für Meditationstechniken, mit Hilfe derer man viel Positives bewirken kann. Das habe ich mir über Youtube Videos beigebracht.

Bringt Ihnen die Schule etwas?

Bis zur 11. Klasse war ich der Meinung, dass sie nichts bringt. Aber seitdem erkenne ich, dass ich eine Funktionsuntersuchung in Mathe vielleicht nicht wieder benötigen werde. Aber was ich stets lerne ist, Dinge zu analysieren und zu hinterfragen. Unglaublich wichtig sind mir allgemeinbildende Unterrichte wie Deutsch, Geschichte, Gemeinschaftskunde oder Geografie. In Deutsch analysieren wir gemeinsam und zusammen mit der Lehrkraft – und das ist wichtig, weil man dadurch unterschiedlichen Input von allen Seiten bekommt, im Gegensatz zur Einzelarbeit.

 

Zu Ihrer musikalischen Entwicklung.

Seit 2014 nehme ich Mandolinenunterricht und habe mit Geige und Klavier aufgehört.

Haben Sie vor, Mandoline zu studieren?

Tatsächlich habe ich es in Betracht gezogen. Durch die Impulse, die mein Papa mit dem Mandolinenorchester gibt, wäre es möglich, die Mandoline wieder populärer zu machen. Ich würde keine Musiklehrerin werden wollen, sondern anstreben, dass die Mandoline wieder auf den Markt kommt.

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Haben Sie Vorbilder?

Avi Avital weil er den Zeitgeist wunderbar trifft. Das beeindruckt mich total. Auch Caterina Lichtenberg ist für mich ein Vorbild, weil sie wunderbar spielt und weil sie mit Ihrem Ehemann Mike Marshall zwei musikalische Welten zusammenbringt [s. Zupferkurier 3-2018]. Ich habe auch überlegt, ob ich nach Italien gehe, da dort eine Mandolinenhochburg ist.

Sie spielen Bravourliteratur wie den Csardas von Monti, aber auch ganz langsame, ruhige Stücke mit dem Orchester, wo sie nur ganz wenige Töne spielen. Bei den letzteren kommen Sie mir viel zu bescheiden vor. Können Sie da trotzdem aufblühen?

Ich sehe musikalische Aufführungen wie ein Schauspiel, ein Theaterstück, wo man versucht, Emotionen nach außen zu bringen. Mir gefallen ruhige Stücke sehr, da kann man in viel Gefühl aufgehen.

Wo sie zwei Drittel der Töne gar nicht spielen, die Sie spielen könnten…

Langsame Stücke sind schwieriger als schnelle, denn da hört man jeden Ton.

Und der Gesang entwickelt sich zunehmend?

Seit zwei Jahren nehme ich Unterricht bei einer klassischen Lehrerin, aber wir gehen Richtung Pop, vielleicht irgendwann vielleicht Richtung Jazz, was aber das schwierigste ist.

Wir sind jetzt im Tonstudio. Was machen Sie hier?

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Wir nehmen zuerst den Ton auf und verbessern ihn, bis wir zufrieden damit sind. Und danach nehmen wir ein Video dazu auf. Denn der Sound ist das Wichtigste.

Hier haben Sie also Ihre „Anastasia“ aufgenommen, ein Künstlername, den Sie auch auf Youtube darstellen.

Ich hatte die „Anastasia“ abgebrochen, weil ich mich im Gesang weiterentwickeln und warten wollte, bis dabei etwas Gutes – etwas sehr Gutes – herauskommt, und dann die Mandoline wieder einbringen.

Wie denken Sie über die elektrische Mandoline?

Finde ich interessant. Aber sie klingt andererseits wie eine höhere E-Gitarre. Der Charme der Mandoline geht ein wenig dabei verloren. Die klassische Mandoline ist das Schönste für mich.

Bei Yasuyoshi Naito [ Mandlinenbauer in 76744 Wörth – Maximiliansau] habe ich einige Mandolinen ausprobiert und gemerkt: Das ist diejenige, die am besten zu mir passt.

Was war die Eigenschaft des Instruments, das Ihnen gesagt hat:  Das ist jetzt meine?

Erstens ist sie ein bisschen kleines als andere. Dann habe ich bei den ersten Tönen die Vibration durch meinen Körper gespürt und gewusst, das ist sie. Das war Liebe auf den ersten Blick.

Ich habe auch einmal mit jemandem die Instrumente getauscht. Bei beiden Personen hat die Mandoline nicht richtig geklungen. Sie haben beide ihren Eigenklang verloren. Eine Mandoline gehört zu einer bestimmten Person

Welche Vision haben Sie?

Musik muss nicht unbedingt in Richtung Erfolg gehen.

Das passt aber gar nicht zu den Intentionen Ihres Vaters.

Wenn der Erfolg eine Person erfüllt, dann ist es wunderbar. Man sollte sich für den Erfolg jedoch keinesfalls selbst verkaufen. Musik ist kein wirtschaftliches Unternehmen, sondern eine Leidenschaft.

Musik kann man nicht nur rational betrachten. Sie ist auch irrational. Darum sollte jede Person Musik nicht nur für andere machen, sondern für sich selber.

Nehmen wir an, ich werde Musikerin und ich kann nicht davon leben, dann würde ich nicht über meine Prinzipien gehen, sondern ich würde musizieren was zu mir passt – und beruflich etwas anderes machen. Mir ist die Musik zu wichtig, um sie für die Öffentlichkeit aufzugeben.

Danke herzlichst!

Anna Maria Bagger
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Alle Fotos in diesem Beitrag: Copyright Dr. Thilo Fitzner